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Mehr Neugier und Toleranz wären gut

Donnerstag, 17.06.2021

Jüngstes Mitglied des Behindertenbeirates, Julia Reinke, im Interview

Seit drei Jahren engagiert sich Abiturientin Julia Reinke ehrenamtlich im „Beirat für Menschen mit Behinderung“ der Stadt Ludwigsfelde. Im Interview berichtet sie über ihre Beweggründe, sich zu bewerben, über ihre Arbeit und ihre Wünsche für die Zukunft.

Frau Reinke, Sie sind seit 3 Jahren im Behindertenbeirat von Ludwigsfelde aktiv. Was hat Sie 2018 dazu bewogen, sich für dieses Gremium zu bewerben?

Julia Reinke: Mit 15 Jahren wurde bei mir Skoliose festgestellt, etwas später die unterschiedliche Länge meiner Beine und schließlich, nach einer Odyssee von Arzt zu Arzt, erhielt ich die Diagnose „Rheuma“. Die medizinischen Fragen wurden dabei geklärt, aber niemand konnte uns sagen, wo man Unterstützung erhält, welche Hilfsmittel wo zu beantragen sind – wir haben uns damals alleingelassen gefühlt. Meine Eltern kämpften mit dem Papierkram und ich mit den Schmerzen und weiteren Auswirkungen der Krankheit sowie mit meiner schulischen Ausbildung. Erst ging ich noch auf das „Marie- Curie-Gymnasium“ Ludwigsfelde, als das krankheitsbedingt nicht mehr möglich war erhielt ich Hausunterricht. Im II. Halbjahr der 10. Klasse konnte ich auf die Potsdamer „Oberlin-Schule“ wechseln. Hier war alles optimal auf uns Schüler mit Behinderungen zugeschnitten. Es war schön, wir wurden nicht mehr gemobbt oder stigmatisiert wie es zuvor manchmal der Fall war  – aber wir waren eben auch unter uns – isoliert von Schülern ohne Behinderung.

Irgendwann hatte ich einfach keine Lust mehr, hinzunehmen, dass so viele überfordert sind. Ich wollte, dass sich etwas ändert und ich wollte dazu beitragen, dass es sich ändert.

Was, denken Sie, müsste sich ändern?

J.R.: Inklusion müsste selbstverständlich werden, von klein auf. Das bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört, am alltäglichen Leben teilhaben kann. Dieses Wort sollte nicht nur auf dem Papier stehen, sondern in der Praxis angewendet werden. Dafür müssen Barrieren verschwinden – im Alltag und in den Köpfen. Von klein auf, schon im Kindergarten, sollten Kinder mit und ohne Behinderung miteinander zu tun haben, gemeinsam spielen und lernen – dann wäre das Zusammenleben für beide Seiten wahrscheinlich leichter – auch für die Eltern.

Was bringt die Arbeit des Behindertenbeirates den Menschen mit Behinderung in Ludwigsfelde?

J.R.: Mein Wunsch war es damals (und ist es heute noch) anderen zu helfen, meine Erwartung war, an Informationen heran zu kommen und Dinge selbst in die Hand nehmen zu können.

Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt und haben Sie das Gefühl, dass Sie mit Ihrer Arbeit im Beirat etwas bewirken?

J.R.: Auf jeden Fall habe ich gelernt, dass Informationen wichtig sind. Ich konnte Einsicht in Kommunalpolitik gewinnen und die Sichtweise junger Menschen mit Behinderung in die Arbeit des Beirates einbringen. Schön ist, dass wir uns ergänzen – unsere Arbeit ist durch unsere Vielfältigkeit erfolgreich. Allerdings merkt man auch, dass man um das meiste kämpfen muss. Es wäre gut, wenn wir als Beirat noch bekannter werden würden bzw. wenn man uns noch mehr ernst nehmen würde.

Sie haben in den letzten 1 ½ Jahren unter Corona-Bedingungen Ihre Schulzeit abgeschlossen, Ihr Abitur gemacht und sich beworben. Gab es für Sie besondere Herausforderungen?

J.R.:  Diese Zeit war für mich schon speziell. Die Lernbedingungen waren nicht einfach und für die Abiturprüfung fühlten wir uns manchmal nicht ausreichend vorbereitet. Aber ich bin froh, es jetzt geschafft zu haben und mich bewerben zu können. Aufgrund der Pandemie waren aber z.B. bei manchen Vorstellungsgesprächen die Behinderten- oder Gleichstellungsbeauftragten nicht zugegen. Allerdings wurde ich auch gefragt, welche Hilfen ich benötigen würde, wenn man mich einstellt.

Was raten Sie jungen Menschen, die in einer ähnlichen Situation wie Sie sind?

J.R.: Die digitale Generation ist es gewöhnt, nur das Schöne zu zeigen, alles Störende wird weggeklickt, der normale Alltag wird vernachlässigt. Ich denke, es ist wichtig, sich darauf zu konzentrieren, was man sich vornimmt. Man sollte gar nicht erst auf den Gedanken kommen, dass man nicht s wert ist, auch wenn von verschiedenen Seiten (nicht nur von Jugendlichen) dumme Sprüche kommen. Provokationen sollte man zu ignorieren versuchen – oder die Provokateure mit Informationen konfrontieren.

Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft und für die Zukunft Ihrer Stadt?

J.R.: Ich wünsche mir natürlich eine gute Ausbildung, und dass ich dort und auch in meiner Stadt auf tolerante Menschen treffe, die mich nicht nur auf meine Behinderung reduzieren, sondern das sehen, was ich kann und was ich leiste. Und ich wünsche mir bei den Begegnungen mit Menschen mehr Neugier, dass z.B. jemand fragt, anstatt mich anzustarren. Fragen ist ok – abstempeln oder sich lustig mach nicht. Information ist alles finde ich. Schon von klein auf ist es wichtig, dass den Leuten klar wird: Menschen mit Behinderung gehören ganz selbstverständlich in die Mitte der Gesellschaft.

Dafür braucht man Mut – auf beiden Seiten.


Das Interview führte Maren Ruden.